Die Stadt, in der die schönsten Alltagsgeschichten, große Ambitionen und der Jasmin wohnen

Nein, Amman ist keine pipifeine Stadt. Amman ist keine Stadt aus einem Hochglanzmagazin. Amman ist nicht sauber, nicht überall farbenfroh und punktet nicht durch seine gute Luft. Aber Amman steckt voller rauer Überraschungen und die machen diese Stadt für mich so besonders.

Wer in Amman zu Fuß geht

Wer in Amman – außerhalb vom Bobo-Bezirk Jabal Weibdeh - zu Fuß geht, gehört grundsätzlich schon einmal zur Minderheit und wird mitunter auch seltsam beäugt. Wer hier zu Fuß geht, muss auf jeden Fall achtsam sein und seine Augen stets auf den Weg vor einem heften. Schöne Gehwege, breite Gehsteige, schattige Pfade sucht man hier vergebens. Fußgänger*innen weichen Müllcontainern, dicken und dünnen Katzen und Olivenbäumen ebenso aus wie Sperrmüll, tausenden Autos und – vor allem oft einfach dem Abgrund. Weil der Gehsteig dann einfach endet. Jedes Mal, wenn ich den Fehler begangen habe und meine Augen aufs Handy statt auf den Weg vor mir zu heften, bin ich zumindest gestolpert, einmal auch in eine (Gott sei Dank nicht so tiefe) Grube gefallen. Man muss also achtsam sein.

Ich finde Bäume ja super … Aber wo genau soll ich jetzt gehen?

Dass Amman einem beim Gehen so viel Konzentration und Aufmerksamkeit abverlangt, hat aber auch einen schönen Nebeneffekt: Man sieht viel. Man nimmt viel wahr. Man beobachtet die ganze Zeit. Die Menschen hier sagen, Amman wurde auf sieben Hügeln erbaut. Ich bin hier knapp ein Jahr vorwiegend zu Fuß gegangen und bin mir sicher, es sind vierunddreißig Hügeln und mehr. Es geht andauernd bergauf und bergab, die mehr als tausend Meter Seehöhe und die durchaus recht warmen Temperaturen von April bis August führen dazu, dass ich jede im Gehen aufgenommene Sprachnachricht von lautem Keuchen begleitet habe.

Was das Schöne an diesen Hügeln ist: Sie eröffnen einem immer wieder, meist völlig unverhofft, immens schöne Ausblicke auf die Stadt. In Weibdeh habe ich einen Lieblingsausblick – es geht eine lange Treppe bergab (auch davon gibt es eine große Zahl in Amman) und wer am oberen Ende der Treppe innehält, dem liegt Amman für einige Stufen lang zu Füßen. Weiße, hellbraune, graue Häuser, zur Gebetszeit grün erleuchtete Minarette von Moscheen, oft abends eine bezaubernde Wolkenstimmung mit Vogelschwärmen. Ich stell mir immer vor, dass das die Zugvögel sind, die aus Wien losgeflogen sind und jetzt in Jordanien ihr Winterquartier aufgeschlagen haben – oder zumindest eine Pause auf dem weiteren Weg Richtung Süden machen. Den Gedanken finde ich tröstlich, so als wäre ein Stück Heimat mit mir nach Jordanien mitgekommen.

Auch Straßenkatzen würdigen diese Ausblicke auf ihre Stadt.

An den Abenden sind eben diese Ausblicksorte die perfekten Orte für den Sonnenuntergang. Dafür muss man gar nicht erst ans Tote Meer fahren. Auch in Weibdeh gibt es eine räudige Böschung, an deren oberen Ende eine weite, unverbaute Fläche. Abends sitzen hier kleine Freundesgruppen, mitunter auch Pärchen, manche mit Tee in der Hand, und schauen hinunter auf ihre Stadt. Heute Abend war sie in pastellfarbene Töne getaucht – in so schöne Farben, dass ich sogar die Silhouetten der 5-Sterne-Hotels Marriott und Hilton im Hintergrund hübsch fand.

Und dann der Jasmin. Immer wieder, oft in den seltsamsten Gassen, in den mühsamsten Verkehrsmomenten, zwischen Autos und Mülltonnen, ist er da, der Geruch von Jasmin. Dieser betörende, süße, fast schon verwirrende Duft, der mir plötzlich in die Nase strömt. Der mich ein Stück weit begleitet und Amman für einige Meter lang fast lieblich erscheinen lässt.

Wenn der Alltag in Amman Geschichten schreibt…

Amman besticht durch diese kleinen Momente. Täglich sieht man Hunderte Katzen, meist in der Nähe der Mülltonnen, nach Essen suchend, manchmal auf den Stiegen der Stadt. Manchmal alleine, manchmal in laute Kämpfe mit anderen Katzenrivalen verwickelt. Manchen fehlt der Schwanz, manche sehen gut genährt aus, die allermeisten aber sind vom Schmutz und den Abgasen des Verkehrs von einem Grauschleier überzogen. Die Menschen schenken diesen Katzen meist kaum Beachtung.

Doch manchmal ist alles anders. Am Kreisverkehr „Paris“, an dem es vielleicht die einzigen Parkbänke der Stadt gibt (ohne Park, wohlgemerkt) sitzt ein älterer Herr auf einer Bank. Als sich eine stattliche, aber nicht besonders saubere orange-weiß-getigerte Katze nähert, ruft er sie. Sie setzt sich unter seine Bank, er lässt nicht locker: „Komm hoch, setz dich doch, Liebes. Spring doch rauf!“, ermuntert er sie. Irgendwann entscheidet sie sich dafür, er streichelt sie. Als ich von meinem Mittagessen aufstehe und den Ort verlasse, werfe ich noch einen Blick auf die beiden. Die Katze liegt neben dem Mann, in einer eleganten Sphinx-Position, blickt wie er auf das Treiben der Kinder am Platz und lässt ihre beiden Pfoten lässig über die Kante der Bank baumeln.

Im Park der Uni räkelt sich eine andere Katze auf dem Steinboden, zeigt ihren Bauch, dreht sich hin und her. Eine junge Studentin hockt sich zu ihr und streichelt sie. Die Katze ist ganz außer sich vor Begeisterung und kann nicht genug bekommen. Menschen, die dieses Bild sehen, lächeln.

Im Szene-Café Rumi frühstücken eine Freundin und ich vormittags. Die immer gleiche getigerte Katze kommt lautstark ins Café und verlangt miauend nach ihrem Frühstück. Sie dreht eine Runde zwischen den Tischen und steuert dann selbstbewusst auf die Küche zu. Ein Kellner versucht ihr den Weg abzusperren, wovon sie sich nicht beeindrucken lässt. Die Kellnerin nimmt sie auf den Arm und trägt sie nach draußen – mit großer Geduld und während wir an der Theke auf unseren Kaffee warten, mindestens drei Mal.

Amman ist keine aufpolierte, saubere, makellose Stadt. Amman ist wahnsinnig laut und der Verkehr donnerstagabends kann einen zur Verzweiflung bringen. Amman nervt, wenn man – mangels Alternativen - im Taxi sitzt und trotzdem für kurze Strecken wegen endloser Staus eine Stunde braucht.

Aber Amman ist sehr echt. Nicht aufgemotzt, nicht hochgehübscht, nicht angemalt. Diese Echtheit beeindruckt mich. Es ist für mich die Stadt mit den spannendsten Graffitis (eines davon hat es auf die Homepage meiner Webseite geschafft). Die Stadt mit den besten Sonnenuntergangsausblicken. Die Stadt mit den schönsten kleinen Alltagsgeschichten. Die Stadt, die einen immer wieder überrascht und einzigartige Momente für einen bereithält. Und Amman bemüht sich und es ist viel in Bewegung – kostenlose Filmfestivals, eine neue Schnellbuslinie mit eigener Busspur, ein neues Kulturcafé mit Terrasse, ein kleines Non-Profit-Restaurant, das gratis Suppe ausschenkt, Sommerkonzerte direkt im römischen Theater, eine Fahrradgruppe, die sich jeden Freitag auf eine gemeinsame Radtour wagt, eine Zufußgehgruppe, die jeden Freitagvormittag mehrere Stunden durch die Stadt geht, Wandergruppen, die freitags und samstags von hier in Richtung Totes Meer oder den Norden Jordaniens aufbrechen.

Kein Wunschkonzert, dafür viel Ambition

Und Amman ist voller Menschen – mit Ambitionen, mit Ideen, mit dem Gefühl „Da geht doch mehr!“. Ich kann mich nicht erinnern, in je einem anderen Land, in dem ich gelebt habe, so viele Menschen mit diesem Antrieb, dieser Motivation getroffen zu haben. Vielleicht ist es Zufall, vielleicht aber auch nicht. Vielleicht liegt es daran, dass das Leben hier eben weder Wunschkonzert noch Ponyhof ist und sich viele Menschen wünschen, trotzdem ihre Träume umzusetzen. Menschen gründen, stampfen Sprachschulen aus dem Boden, organisieren Vereine, treffen sich in Buchklubs und Debattiercafés, veranstalten Sprachtandems und Abendessen, entwickeln im eigenen Wohnzimmer Smart Home – Hardware und lernen Fremdsprachen. All das gibt es Wien natürlich auch, und wahrscheinlich noch in viel größerer Anzahl. Aber hier gibt es für all diese Ideen weit weniger Support und deshalb finde ich sie umso beeindruckender, diese Kraft der Menschen.

Amman verstört mich und nervt mich, entzückt mich und begeistert mich, zieht mich an und raubt mir all meine Geduld, verführt mich, überrascht mich, lässt mein Herz höher schlagen, lässt mich die Augenbrauen heben, den Kopf schütteln und oft auch einfach lachen.

Aber es ist eine Stadt, die mich nicht los lässt. Und das ist gut so.

Auf bald, ya Amman.

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