Das geheime Kaffeehaus

Ich mag Erzurum nicht für die Blicke, die mich meistens irritieren und manchmal verwirren. Ich mag Erzurum auch nicht unbedingt für das trockene Klima und die wenigen Freizeitmöglichkeiten.

Aber ich mag Erzurum dafür, dass die Stadt mich vor zwei Jahren aufgefangen hat und ich in ihr einen großen Teil meiner Stärke wiedergefunden habe. Ich mag Erzurum für die beruflichen Möglichkeiten, die ich hier kennenlernen durfte.

Und ich liebe die Stadt für die wunderbaren Freundschaften, die sie mir geschenkt hat. Zu den Freundschaften gehören auch die mysteriösen, versteckten Plätze, die in dieser sonderbaren Stadt immer wieder auftauchen.

Der Ledermann war einer dieser Plätze. Im Laufe der Zeit sind viele weitere dazugekommen, und diese Orte sind meist verknüpft mit den Menschen, die dort arbeiten und die sich für mich interessierten. Da gibt es die Gewürzstraße mit ihren vielfältigen kleinen Gewürzläden, in der ich jedes Mal ein mir unbekanntes Gewürz oder eine Pflanze kennenlerne und deren Nutzen erfrage. Da gibt es die Schuhputzer, die mir – „als Dame“, sagen sie immer – Plastikschlapfen überreichen, in die ich schlüpfe, während sie meine Schuhe polieren. Da ist der Schneider, den ich jedes Mal wieder besuche und der immer noch das österreichische Maßband verwendet, das ich ihm einmal geschenkt habe. Da ist der Buchverkäufer, der immer neue Buchtipps für mich hat und mir jedes Mal ein selbstgeschriebenes Gedicht schenkt.

Gewürzladen in Erzurum

Das Sammelsurium ist groß und bunt und beschenkt mich reich.

Dieses Mal ist dank einem sehr lieben afghanischen Freund ein neuer Ort dazugekommen: Das geheime osmanische Kaffeehaus.

Im Zentrum liegt es, hinter einem großen Supermarkt. Als Ömer mich hinführt, bin ich mir eigentlich sicher, dass er sich geirrt hat. In der Straße ist einfach nichts. Dann biegt er nochmals ab, wir stehen vor einem alten, unscheinbaren Haus. Die gegenüberliegende Straßenseite besteht aus einem zu Trümmern geschlagenen Hausrest, eine Baustelle, auf der niemand baut. Wir betreten das Haus und ich frage nochmals: „Um Himmels Willen, wo sind wir hier?“, doch dann sehe ich den Schriftzug an der Wand: Osmanli Kafe (Osmanisches Kaffeehaus). Wir gehen eine kleine Wendeltreppe hoch und ziehen unsere Schuhe vor der nächsten Holztüre aus. Die Tür quietscht, als wir eintreten.

Osmanli Kafe_Schriftzug

Dann tut sich im Halbdunkel ein völlig mit Teppichen ausgelegter Gang auf, dem wir folgen. Das Café ist ein Labyrinth an kleinen, versteckten Räumen und die Türschwellen, über die wir treten, haben alle unterschiedliche Höhen. Es ist weich, wir laufen barfuß und man hört unsere Schritte kaum. An den Wänden hängen osmanische Dekorationen, wieder Teppiche, Tierfelle, alte Lampen. Im Raum, den wir betreten, ist eine Zwischendecke eingezogen, so niedrig, dass selbst ich darunter nicht aufrecht stehen kann. Oben und unten sind kleine versteckte Nischen, Sitzpolster liegen am Boden. In manchen Ecken sitzen Gäste und trinken Tee, manche versteckte Bereiche scheinen von Pärchen bevorzugt. Wir klettern die kleine, niedrige Holzstiege empor und setzen uns in eine der Nischen.

Auf Socken kommt eine Frau heran und ich fühle mich wie in einem Märchenbuch. Sie hat ein breites Lächeln und begrüßt uns mit einer Herzlichkeit, die ihresgleichen sucht. „Ich habe euch durch das Fenster schon gesehen“, meint sie, „und ich habe so gehofft, dass ihr zu mir ins Café kommt, weil ihr so süß ausseht. Herzlich willkommen!“ Ich habe wirklich den Eindruck, als hätte sie auf uns gewartet.

Osmanli Kafe von innen

Den Abend verbringe ich mit Ömer und tiefen Gesprächen. Die Kaffeefrau stört uns nicht und fragt innerhalb von drei Stunden nur zwei Mal nach unseren Wünschen. Die Atmosphäre ist heimelig und gemütlich, die Zeit verfliegt. Um kurz vor 23 Uhr kommt sie wieder, lächelt und entschuldigt sich: „Meine Lieben, es tut mir leid, aber normalerweise mache ich schon um 22 Uhr zu. Ich wollte euer Gespräch nicht unterbrechen, aber jetzt ist es schon sehr spät…“ Wir entschuldigen uns und brechen auf.

Bevor ich gehe, sieht sie mich an und meint: „Bis du Erzurum verlässt, komm immer wieder, okay? Ich mag dich.“

Ein neuer sicherer Hafen in Erzurum.

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Warum ich Erzurum (dann doch wieder) mag.

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