Minus vierundzwanzig

Ja, ich glaube -24 Grad war die kälteste Temperatur, die ich bisher in Erzurum erlebt habe. Und das war nicht um 2 Uhr Früh wohlgemerkt, sondern einfach irgendwann am frühen Abend, als die Sonne schon untergegangen war.

Wer Lust auf ein Winterparadies und ein sehr schneesicheres Schigebiet hat, dem sei Erzurum im Dezember (oder auch im Oktober oder Februar oder April) wirklich zu empfehlen. Besonders kälteempfindlich sollte man allerdings nicht sein.

Was macht man bei 15 oder 20 oder eben fast 25 Minusgraden?

Ich sehe bei diesem Wetter zum Beispiel so aus:

Amüsant ist, dass die Menschen, die hier leben, irgendwie andere Relationen entwickeln. Minus 10 Grad gestern kam mir selbst auch schon irgendwie warm vor, aber ich habe wirklich mehrere (!) Menschen ohne Jacke, sondern nur mit Pullover gesehen. Mit Handschuhen war ich an diesem Tag auf meiner Wanderung zur Uni quasi die Einzige.

Ich gehe hier unglaublich viel, meist zumindest eine Strecke zur Uni, was einer reinen Gehzeit von 60 Minuten entspricht - manchmal auch hin und retour. Wunderschön, weil auf dem Weg nicht nur in rosa Licht getauchte Bergketten und meterlange Eiszapfen zu sehen sind, sondern auch wegen des Blickes auf die Berge. Sie sind einfach von absolut jedem Punkt der Stadt aus zu sehen. Egal, in welche Himmelsrichtung sich die Häuser ein Stück weit öffnen, dahinter liegen ruhig und mächtig die Gebirgsketten des Hochlandes.

Ich bin eigentlich kein Bergmensch, ich mag Städte wie Innsbruck überhaupt nicht, da sie mich einschließen, einkesseln, beengen. Aber hier ist es so ganz anders - die Kombination eines so weiten Horizontes und gleichzeitig eines so atemberaubenden Bergpanoramas ist ziemlich einzigartig. Über diese Landschaft könnte ich ewig schreiben und sie auch millionenfach fotografieren, weil sie nicht nur zu jeder Jahres-, sondern auch zu jeder Tageszeit anders ist. Heute zum Beispiel bin ich erstmals um 7 Uhr aufgestanden und beim Blick aus dem Fenster (-20 Grad) begrüßten mich die Berge, sanft und wohlwollend, in ein rosa-hellblaues Morgenlicht getaucht.

Das Licht in Erzurum ist verblüffend. Es ist fast immer sonnig, das macht erstens die Kälte erträglicher, und zweitens ist der Himmel dann immer so blau, dass man sich jeden Tag an Winterpostkarten erinnert fühlt. Ein so klares Blau, ohne Wölkchen, ohne Streifen, sogar ohne Flugzeugstreifen, mit einer unglaublichen Intensität. Die Farben des Himmels habe ich hier immer besonders stark wahrgenommen, sei es im Winter oder auch im Sommer.

Ja, und was die Ausrüstung bei so vielen Minusgraden angeht: Eigentlich ganz easy - nur keine Körperstellen frei lassen! Viele Leute hier haben so coole ewig hohe/lange Vlieskrägen, die sie sich über den Kopf stülpen und wo nur mehr die Augen frei bleiben. Am angreifbarsten sind meiner Erfahrung nach sowieso die Stirn und die Wangen und - bei mir auch die Finger. Als ich kürzlich mit einem Freund telefoniert hab, 5 Minuten auf der rechten und 5 Minuten auf der linken Hand (natürlich mit Handschuhen!), dachte ich danach wirklich, meine Finger würden auf ewig bewegungslos bleiben.

Spannend ist auch der Boden … die Eisschicht ist teilweise 10 cm dick und so sehr ich mich in Wien manchmal über das exzessive Streuen von Salz im Winter ärgere, hier wäre es manchmal schon auch wieder nicht so schlecht. Manchmal wird Sägemehl oder Kohle gestreut, ist aber nicht ganz so effektiv. Aber auch hier ist der Gewöhnungseffekt anscheinend vorhanden: Während ich an manchen Stellen Schritt für Schritt behutsam dahinschlittere mit meinen Winterstiefeln und mir sehnlichst eine Schneedecke wünsche, auf der man gut gehen könnte, überholen mich Studierende im Pulli und mit Sportschuhen. Im Laufschritt.

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Glück aus Jordanien

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Warum ich Erzurum (dann doch wieder) mag.